Schwäbisch für Besserwisser

Wo man wenig leit und geit

"Wer über siebe Jungfere nüber schteigt / Und zu me alte Weib nei leit / Der isch an Esel, / Der isch net g'scheit." Wer an leit Anstoss nimmt, sei beruhigt: des geit's wirklich.

Man hört es zwar immer seltener, aber es ist durchaus noch present, zumindest in Sprichwörtern oder Redewendungen: leit. Wir erinnern uns des Zungenbrechers "Glei bei Blaubeira leit a Klötzle Blei, a Klötzle Blei leit glei bei Blaubeira."

Leit ist die 3. Person Einzahl von liegen: er/sie/es leit. Im genannten Zungenbrecher entspricht es dem Schriftdeutschen liegen: Das Bleiklötzchen liegt gleich bei Blaubeuren. Daneben aber hat liegen im Schwäbischen die Bedeutung von sich legen. In diesem Sinne ist die eingangs zitierte Volksweisheit zu verstehen, die offenbar aus der Zeit stammt, da es noch Jungfrauen gab.

Das Verb liegen im Sinne von sich legen signalisiert dann etwas Verwerfliches, wenn es passiven Charakter hat. Das dokumentieren weitere Sprüche, die in Fischers Schwäbischem Wörterbuch überliefert sind: "Wer lange leit verdirbt bei Zeit" oder - etwas versönlicher: "Wer länger leit als siebe Schtund, isch fauler als an Schäferhund."

Bei dieser Gelegenheit erfahren wir auch, dass die traditionelle Maximal-Schlafdauer der Schwaben bei sieben Stunden und somit eine Stunde unterhalb des Limits liegt, das die Benediktiner ihren Mönchen zugestanden haben.

Obwohl liegen anders klingt als geben, kommen sich die beiden Zeitwörter in der dritten Person Einzahl ziemlich nahe: er/sie/es leit - er/sie/es geit (gibt). Wie kommt das?

Zunächst ist festzustellen, dass weder leit noch geit schwäbische Spezifika sind. So lauteten die Formen liegst, liegt im Althochdeutschen ligis, ligit, was seit dem 12. Jahrhundert auf list und lit reduziert wurde. Als später im Zuge der "Zwielautung" oder "Diphtongierung" die zit zur Zeit und das wip zum Weib mutierte, wurde list zu leist und lit zu leit. Das überdauerte im Neuhochdeutschen bis ins 17. Jahrhundert.

Ähnlich verhält es sich mit geit. Laut Grimm sind die mittelhochdeutschen Formen gibest und gibet im Sprachgebrauch zu gist und git verkürzt worden, "und das setzte sich im Neuhochdeutschen richtig fort als geist, geit". Und so konnte es zu dem Sprichwort kommen, welches da lautet: "Armut den Herzen Friede geit, Reichtum in großen Sorgen leit", über dessen Wahrheitsgehalt man sich allerdings streiten kann.

Grimms Deutsches Wörterbuch, in dem das alles nachzulesen ist, erklärt übrigens auch noch ein weiteres Phänomen, das heute auf das Schwäbische begrenzt ist: Im Mittelhochdeutschen wurde geben seines b beraubt und geriet zu gen, die Mehrzahl gebent wurde zu gent.

Während diese Sparmaßnahme in anderen Regionen rückgängig gemacht wurde, hat sie sich im Schwäbischen gehalten: Hier lautet der Infinitiv gea und der Plural "mir geant". Nur im Schleiflackschwäbisch lautet das geflügelte Wort: "Mir gebet nix".

Von Henning Petershagen

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