Schwäbisch für Besserwisser

Vom Schwätzen

Schwäbisch spricht man nicht - man schwätzt es. Selbst der schweigsamste Schwabe schwätzt, wenn er etwas sagt. Doch wehe, man nennt ihn einen Schwätzer.

Im Schwäbischen ist schwätze die Grundlage der menschlichen Verständigung. Doch im Schriftdeutschen gehört schwätzen wie das gleichbedeutende schwatzen zu den kommunikatorischen Redundanzen, das heißt, es ist überflüssig.

Der Unterschied liegt darin, dass das Zeitwort schwätze im Schwäbischen die schriftdeutschen Verben sprechen, reden, sich verständigen, kommunizieren, ersetzt. Der Deutsche spricht deutsch, der Schwabe schwätzt schwäbisch. Ist er im Ausland, wo man ihn nicht versteht, schwätzt'r mit de Händ.

Mancher schwäbische Eigenbrötler tut, was nach schriftdeutschem Sprachverständnis ein Widerspruch in sich wäre: Er schwätzt wenig. Nicht möglich wäre im Schriftdeutschen auch das Lob: "Was der schwätzt hat Hand und Fuss."

Eine der effektivsten Methoden, Probleme zu lösen oder gar nicht erst aufkommen zu lassen, ist das Miteinander-Schwätzen. Auch die modernste Kommunikationstechnik und die perfekteste Videokonferenz können das nicht ersetzen.

Das aber bedeutet, dass miteinander schwätzen mehr ist als der reine Informationsaustausch. Es bedeutet das Erfassen der Persönlichkeit des Gegenübers nicht nur mit dem Ohr, sondern auch mit dem Auge und vielleicht der Nase (Tast- und Geschmacksinn sollte man besser nicht bemühen). Es bedeutet, Grenzen auszuloten, auf den Anderen einzugehen, ihm nötigenfalls entgegenzukommen.

Das heißt, miteinander schwätzen ist ein ganzheitlicher Verständigungsprozess und daher ungleich erfolgreicher als der Austausch von Aktennotizen. Das Ende dieses Prozesses quittiert der Schwabe mit der zufriedenen Feststellung: "Ma ka ja schwätze mitanander."

Worin besteht der Unterschied zwischen schwätzen und schwatzen? Warum hat schwätzen diese unterschiedliche Wertigkeit?

Die doppelte Form liegt schon in den mittelhochdeutschen Verben swatzen und swetzen vor. Doch in der gesprochenen wie geschriebenen Sprache war schwätzen die üblichere Form. Im 18./19. Jahrhundert gewann schwatzen in der Schriftsprache das Übergewicht; schwätzen zog sich in die Mundart zurück.

In der Schriftsprache nahm das zunächst wertfreie schwätzen nun einen "tadelnden Nebensinn" an. So schrieb Lichtenberg: "Was heißt schwätzen? Es heißt mit einer unbeschreiblichen Geschäftigkeit von den gemeinsten Dingen, die entweder schon jedermann weiß, oder niemand wissen will, so weitläufig sprechen, dass niemand darüber zum Worte kommen kann, und jedermann Zeit und Weile lang wird."

Diesem Bedeutungswandel haben sich die Schwaben erfolgreich widersetzt - außer im Falle des Schwätzers. Den können auch sie nicht leiden.

Damit wäre wohl alles gschwätzt.

Von Henning Petershagen

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