Schwäbisch für Besserwisser

Pröbstlich oder knackig

Im Land der Schwaben genießt man die Erdbeere differenzierter als anderswo. Denn nur hier unterscheidet man zwischen der Erdbeere und dem Bräschtling.

Man findet ihn nur in wenigen neuen Wörterbüchern und im sechsbändigen Brockhaus-Wahrig unter P als Prestling: den Brestling oder Brästling, der Bräschtling gesprochen wird. Im Duden-Taschenbuch "Wie sagt man anderswo?" das die landschaftlichen Unterschiede in der deutschen Sprache behandelt, steht unter "Erdbeere" zu lesen, dass die oberdeutschen Mundarten dafür die Begriffe Bretli, Bresling und Brästling kennen.

Der Hinweis allerdings, dass damit vor allem die Walderdbeere  gemeint sei, trifft zumindest für den Bräschtling keinesfalls zu. Im Gegenteil - und damit sind wir beim differenzierten Erdbeergenuss der Schwaben: Wer allein schon das Wort Bräschtling in den Mund nimmt, dem läuft darin das Wasser zusammen noch bevor er der Frucht ansichtig geworden ist. Vor seinem geistigen Auge erscheint eine pralle, reife, tiefrote und aromatische King-Size-Erdbeere, denn nur eine solche verdient die Bezeichnung Bräschtling. Alles andere sind eben mehr oder weniger reife Erdbeeren oder -beerlen, die man am besten mit viel Zucker zu Marmelade verarbeitet.

Mit anderen Worten: der Begriff Bräschtling gibt ein Mindestvolumen vor, das die gemeine Erdbeere nicht erreicht - und die Walderdbeere schon gleich gar nicht. Folgerichtig gibt Fischers Schwäbisches Wörterbuch an: "Nur die im Garten gebaute, nicht die wildwachsende Erdbeere. Eine Gattung großer, wohlschmeckender Erdbeeren."

Das Wort Bräschtling lässt sich weit zurückverfolgen. Der brestlinc steht bereits im "buoch von guoter spise", der ältesten bekannten deutschen Rezeptsammlung, die in den 1340er Jahren verfasst wurde. Darin wird allerdings auch nicht erklärt, was es mit diesem Wort auf sich hat.

Im Bayerischen Wörterbuch ordnet Andreas Schmeller den Brästling einer Wortfamilie zu, deren Oberhaupt der Probst ist: "Der Pröbstling, große Erdbeere; ein dicker, fetter Mensch; brestelinc, Breßling", so ließt man dort. Diese Leseart, den  Brästling als einen verstümmelten Pröbstling zu begreifen, besticht natürlich, bedient sie doch das Klischee vom feisten, den kulinarischen Genüssen zugewandten Geistlichen. Allerdings hat schon Fischer dagegen Bedenken angemeldet und im Pröbstling ein Produkt der "Volksetymologie" vermutet. Darunter versteht man den laienhaften Versuch, einen Begriff aus einem anderen, ähnlich lautenden zu erklären, was oft in die Hose geht.

Einen professionellen Versuch finden wir im oben zitierten Landschafts-Duden. Dort wird der Brästling von mittelhochdeutsch brasten (knacken) hergeleitet. Ob zu Recht oder nicht, sei dahingestellt. Jedenfalls ist der Gedanke an etwas Knackiges dem Gegenstand sicher eher angemessen als der Gedanke an einen dicken Klostervorsteher.

 von Henning Petershagen

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