Schwäbisch für Besserwisser

Das schwäbische sssss

Sssumm, sssumm, sssumm - wenn Schwabenkinder dieses Lied singen, klingt es nicht nach summenden Bienchen, sondern wie das Öffnen eines Fahrradventils.

Das Schwäbische kennt kein stimmhaftes s. Darüber hat sich der Schriftsteller August Wilhelm von Schlegel (1767-1845) in folgendem Vierzeiler lustig gemacht: Wenn jemand Schoße reimt auf Rose, / Auf Menschen wünschen, und in Prose, / Und Versen schillert - Freunde wisst, / Dass seine Heimat Schwaben ist.

In der Tat findet der Schwaben nichts verwerfliches dabei, die Rose, deren s stimmhaft ist, reimtechnisch mit dem Schoße zu paaren, de er das s der Rose ebenso stimmlos ausspricht, wie das ß des Schoßes. Und so entlarvt neben den Urlauten ei und au auch das konsequent stimmlos gezischte s den Sprecher oder die Sprecherin als Schwaben oder Schwäbin.

Denjenigen unter Ihnen, die ihren Dialekt für karrierehemmend halten und daher Sprechunterricht nehmen, werden als erstes die besagten Urlaute ab- und das stimmhafte s angewöhnt. Heftiges Üben mag schließlich beim Einen oder der Anderen ein wohltönend sssummendes sss zur Folge haben, wobei dies nicht zwangsläufig korrespondiert mit dem Wissen darüber, wann denn nun ein s stimmhaft und wann stimmlos zu sprechen ist.

Dies wiederum ermöglicht es, solche im Dialekt gefärbten Schwaben daran zu erkennen, dass sie dem s auch dort Klang verleihen, wo ein stimmloses s oder ß steht wie etwa im Schoße. Andere, denen das stimmhafte s gelingt und die es vielleicht sogar richtig platzieren, scheitern an ihren schwäbischen Selbst- und Doppellauten, die nicht zum stimmhaften s passen.

Hier sei noch kurz verraten, wo das s stimmhaft ist: im Anlaut vor einem Vokal (Sonntag) und im Inlaut zwischen zwei Vokalen (Hose) bzw. wenn es zwischen r, l, m, n, und einem Vokal steht (emsig).

Warum kennen die Schwaben kein stimmhaftes s? Die Antwort ist so kompliziert wie die Geschichte jenes Lautes, die in Grimms Wörterbuch viereinhalb kleingedruckte Spalten füllt. Ursprünglich hatte es im Deutschen ein hartes und ein weiches s gegeben; der Unterschied zwischen hartem und weichem s lässt sich noch heute im Schwäbischen nachvollziehen etwa in Hasen und hassen. In beiden Fällen ist das s stimmlos, aber in hassen ist es schärfer als in Hasen.

Im Niederdeutschen hat sich das weiche s in ein stimmhaftes verwandelt - im Gegensatz zum harten, das stimmlos geblieben ist. Diese Sprechweise hat sich schließlich durchgesetzt - aber wohl doch nicht so flächendeckend, wie Schlegel dies in seinem Vierzeiler unterstellt: Auch die Nicht-Schwaben Matthias Claudius (1740-1815), Clemens Brentano (1778-1842) und Joseph von Eichendorff (1788-1857) - die beiden letztgenannten gleich mehrfach - haben Rose auf Schoße gereimt. Vielleicht fanden sie Schoße poetischer als die der Rose lautlich angemessenere Hose.

von Henning Petershagen

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