Schwäbisch für Besserwisser

Das Schwabenalter

Verbirgt sich hinter dem Begriff Schwabenalter eine Beleidigung, oder hebt er die Schwaben positiv gegenüber anderen Stämmen ab?

Das Schwabenalter ist definiert als der Lebensabschnitt jenseits der 40. Die Begründung lautet, der Schwabe werde mit 40 Jahren "gescheit", was immer man darunter verstehen mag. Denn aus den allfälligen Oberschul-Aufsätzen, deren Verfasser genötigt wurden, die Begriffe "klug", "intelligent" und "gescheit" zu erörtern und gegeneinander abzugrenzen, wissen wir, dass jemand einen hohen Intelligenzquotienten haben kann, ohne deswegen zwangsläufig klug, geschweige denn gescheit sein zu müssen.

Ob die Definition beleidigend ist oder nicht, hängt vom Wörtchen "erst" ab. Wer sagt, Schwaben würden "erst" mit 40 gescheit, unterstellt, andere seien es bereits vorher. Schwaben pflegen sich gegen diese Lesart mit jenem Spruch zu verteidigen, dessen defensiver erster Zeile Mir Schwoba werde erscht mit 40 g'scheit die Gegenoffensive folgt: Die andre net in Ewigkeit.

Was soll man von diesem Spruch halten? Ganz offensichtlich liegt ihm die kollektive Verunglimpfung einer Bevölkerungsgruppe zugrunde, wie wir sie aus den Ostfriesenwitzen kennen. In der Tat waren die Schwaben die Ostfriesen der frühen Neuzeit; sie galten schlicht als dumm.

Differenzierter ausgedrückt hat sich Johannes Böhm, einer der ersten deutschen Volkskundler. In seiner 1520 erschienenen Beschreibung der Sitten und Gebräuche aller Stämme bescheinigt er den Schwaben: Sero respiscunt, frei übersetzt: "Sie kapieren spät."

Mit diesem Phänomen hat sich 1781 der Berliner Friedrich Nicolai auf seiner Reise durch Deutschland ernsthaft auseinandergesetzt: Der Charakter der Schwaben sei oft auf die unbilligste Art missdeutet worden. Er attestierte ihnen Gemächlichkeit, Zufriedenheit und Ruhe sowie eine gewisse Treuherzigkeit und ein unbefangenes Wesen, ... das selbst nichts von Arglist hat und sie bei anderen auch nicht vermuthet. Dies habe dazu geführt, dass ein Schwabe seinen Vortheil nicht genau wahrnahm. Das aber habe man den Schwaben als Dummheit ausgelegt. Und deswegen bedeute das allgemein bekannte Sprichwort, wonach die Schwaben erst im fünfzigsten (!) Jahre klug werden, keine späte Entwicklung der Verstandeskräfte, sondern   deren spätere Anwendung im gemeinen Leben.

Ob mit 50 oder mit 40 -  bemerkenswert ist, wie Nicolai sich das Zustandekommen des Sprichworts erklärt: Man bemerkte, dass ein Schwabe, der sehr oft durch seine angeborne Gutherzigkeit von anderen war überlistet worden, endlich durch lange Erfahrung aufmerksam gemacht ward, um sich durch seinen angebornen Verstand vor der Schlauigkeit anderer zu hüten.

Kürzer und zeitgemäßer ausgedrückt: Von seinem 40. Geburtstag an erkennt der Schwaben, dass er verarscht wird. Und, so sei hinzugefügt, wenn andere dies früher erkennen, nützt es ihnen auch nichts.

von Henning Petershagen

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